Title: Velvet Assassin
Inspiriert von den tragischen Ereignissen um die englische Agentin Violette Szabo im zweiten Weltkrieg, senden die Hamburger Spieleentwickler der Replay Studios eine gewisse Violette Summer aus, um hinter der Linie des Feindes deutsche Einrichtungen zu sabotieren und Schlächter zu töten. Nicht ohne dem Spieler die Schrecken des Krieges in voller Härte nahe zu bringen.
Mit Ausnahme der letzten zwei Missionen erleben wir die Einsätze in Summers Träumen und Erinnerung, während diese schwer verletzt in einem Hospital vor den Nazis versteckt gehalten wird. Diese interessante Erzählweise punktet vor allem dann, wenn Violette aktuelle Geschehnisse mit ruhiger Stimme in der Vergangenheitsform kommentiert. Hier und dort eingestreute Retrospektiven versuchen zudem Licht in die vergangenen Ereignisse zu bringen.
Mit dem Fallschirm landen wir zu Beginn des Spiels direkt in der ersten Mission und erkennen schnell, dass ein Sturmangriff bei Velvet Assassin nicht funktioniert. Unsere Ausrüstung hängt, bis auf das Nahkampfmesser, aufgrund der unsanften Landung irgendwo in den Bäumen, aber auch spätere Missionen mit eleganterem Einstieg, halten sich mit der Bewaffnung unserer Heldin stark zurück. Im Höchstfall sind wir neben dem Messer noch mit einer schallgedämpften Pistole der Marke Colt und sieben Kugeln ausgestattet. Schweres Geschütz, wie Schrotflinte, Luger und Maschinenpistole muss im feindlichen Gebiet auf eigene Faust beschafft werden.
Velvet Assassin ist ein Spiel der Ruhe und Geduld. Unsere Agentin unterliegt schnell im offenen Kampf, weshalb es sicherer ist, aus dem Dunklen heraus zuzuschlagen. Dazu bedienen wir uns der grandios dargestellten Lichtverhältnisse im Spiel. Wir kriechen im Schatten von Kisten, Säulen und Bäumen durch spärlich beleuchtete Gänge oder offenes Gelende, um Nazis den Gar aus zu machen. Sind uns dabei helle Lichtquellen im Wege, müssen diese über Sicherungskästen ausgeschaltet oder mit Kisten verdeckt werden. Oftmals ist einfach nur Geduld gefragt, wenn wir minutenlang aus einem Versteck heraus unseren Feinden bei ihren Unterhaltungen zuhören und vorsichtig unser Zuschlagen planen. Ist diese Planung erfolgreich und haben wir uns nah genug an einen Wachposten herangeschlichen, schlägt Violette erbarmungslos und variantenreich zu. Per Zufall kommen dann in erster Linie das Messer, wenn vorhanden aber auch die schallgedämpfte Pistole oder ein Gewehrkolben zum leisen und tödlichen Einsatz. Wer es lieber laut und mit viel Tamtam mag, kann sich auch daran versuchen, Stilhandgranaten am Mann zu entsichern, Pfützen von Diesel mit einer Signalpistole zu entflammen oder feuchte Bereiche auf den Boden unter Strom zu setzen. Manchmal ist es aber auch am sichersten, jegliche Konfrontation zu vermeiden und sich in Verkleidung des Feindes durch dessen Reihen zu begeben.
Sollte es doch einmal zum offenen Kampf kommen, weil wir uns unvorsichtig aus dem Schatten heraus bewegt oder ein Gegner durch Geräusche auf uns aufmerksam geworden ist, greifen wir auf eine Ladung Morphium zurück, die der im Hospital träumenden Summer sogleich injiziert wird. In ihrem Traum, sprich unserer Mission, bleibt dann kurz die Zeit stehen und wir können uns aus der Gefahrenzone heraus manövrieren oder Angreifer einmalig direkt ausschalten.
Überall herumliegende und teilweise versteckte Sammlerstücke des deutschen Militärs geben uns Aufschluss über den Feind und belohnen uns nach dem Aufsammeln mit wichtigen Erfahrungspunkten. Diese dürfen auf die drei Attribute Morphium, Schleichen und Widerstandsfähigkeit verteilt werden. Ersteres verlängert dabei den Morphium-Modus und erhöht die Anzahl der Morphin-Spritzen, die wir tragen können. Mehr Punkte auf Schleichen macht uns wendiger und für das Ende des Spiels ist die Widerstandsfähigkeit gegen feindliche Angriffe von sehr hoher Bedeutung.
Zwölf Level gilt es zu meistern. Leider ist es nicht möglich einzelne Mission für eine bessere Bewertung oder fehlende Sammlerstücke noch einmal direkt anzuwählen. Velvet Assassin lässt nur komplette Durchgänge, bei denen wir immer wieder bei Null anfangen müssen zu.
Torsten: Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal ein solches Unbehagen beim Spielen gespürt habe, wie es bei Velvet Assassin der Fall war. Die Faszination des auf Schleichen fokussierten Gameplays liegt dicht an der Abscheu, die aufgrund der stetig düsteren Atmosphäre aufkommt. Wenn wir im Morgenrot durch das Warschauer Ghetto schleichen, während die Stille von Schüssen zerrissen wird, Fenster im Mündungsfeuer erhellen und vor uns eine Kinderleiche auf der Straße liegt, kehren wir zwangsläufig inne. Wenn dann am Ende die verratene Heldin nur in einem Negligee bekleidet ihre Flucht ausführt und ihre Methoden feindliche Soldaten aus dem Dunkeln heraus zu töten, immer drastischer werden und zuweilen sogar in diabolische Akte der Rache ausufern, können wir all das als Spieler gut verstehen.
Ganz am Ende schafft es das Spiel dann aber wieder, uns zurück ins reale Leben zu holen. Dann, wenn der Frust aufgrund der Spielmechanik erdrückender ist, als die dichte Atmosphäre und wir erkennen, dass wir vielleicht doch lieber mehr Erfahrungspunkte auf die Widerstandsfähigkeit und weniger aufs Schleichen hätten vergeben sollen. Denn am Ende ist der offene Kampf unausweichlich und Violette muss sich gegen Scharen heranstürmender Gegner erwehren.
Auch wenn der ein oder andere Velvet Assassin aufgrund der Gewaltdarstellung und des Szenarios verfluchen wird, was ReplayStudios hier abgeliefert hat, ist das mir bis dato einzig bekannte Anti-Kriegsspiel und damit spielerisch sehr wertvoll.
Zwei Meinungen sind besser als eine, weshalb sich an dieser Stelle auch noch Kollegin Franzi zu Wort meldet:
Franziska: Als ich das Spiel das erste Mal startete, war mein erster Gedanke: „Oh Scheiße, du hast dir „Silent Hill – Edition WK2“ gekauft.“ Mit einem kann Velvet Assassin nämlich auf jeden Fall auftrumpfen: eine bedrückend unheimliche und unheimlich bedrückende Atmosphäre. Im Netz musste das Spiel viel Kritik dafür einstecken, die wahre, tragische Geschichte der französisch-britisch Agentin für ein Spiel zu missbrauchen, und das Ganze noch mit „billigen Sex-Momenten“ nach Verabreichung von Morphium zu garnieren. Und wer nach Violette Szabo googelt, kann sich tatsächlich fragen, ob es pietätvoll sein mag, ihre Leiden als loses Vorbild zu nehmen.
Allerdings hat das Spiel bei mir nie den Eindruck erweckt, das Szenario für billige Effekthascherei zu nutzen. Im Gegenteil, in meinen Augen handelt es sich um die bisher wohl mitnehmendste Darstellung der Ereignisse während des Krieges. Denn als Spieler erfüllt man nicht bloß Aufträge der virtuellen Violette – man erlebt und tut Schreckliches, woran auch kein Zweifel gelassen wird. Und das hinter den Frontlinien, die bisher den Fokus der Weltkriegs-Spiele bildeten.
Von der rein technischen Seite her ist das Spiel leider nicht ganz so mitreißend. Zwar schaffen gute Grafik und Sound sowie die hervorragende Sprachausgabe eine packende Atmosphäre, allerdings hapert es an anderen Stellen. Die Tatsache, dass Rücksetzpunkte verwendet werden, sorgt zwar für eine knackige Herausforderung. Wenn man die beim ersten Mal noch als stimmungsvoll empfundene, längere Konversation zwischen zwei Wehrmachts-Soldaten schon im dritten Durchgang abwartet, um zuschlagen zu können, ist man trotzdem leicht genervt.
Ist man als SS-Offizierin verkleidet, hat man nur die Möglichkeit, Slalom um die Wachen zu laufen. Denn egal in welche Richtung sie blicken, einzig die Distanz entscheidet über die Glaubwürdigkeit der Tarnung (oder einen sehr schnellen Tod) – hier wäre spielerisch durchaus mehr drin gewesen.
Bestrebungen durch das Spiel zu kommen steht jedoch der gegnerische Röntgenblick am ehesten im Weg. Ab und an wird man von Gegnern entdeckt, die auf Laufstegen über der Protagonistin Wache schieben. Eben noch wähnte man sich – verborgen von eben jenem Steg – außer Sicht und in Sicherheit, schon wird man beschossen und gesucht. Selbst im Schatten kann man so entdeckt werden, wenn man – zweidimensional betrachtet – einer Wache zu nahe kommt.
Nichtsdestoweniger, Liebhaber des Stealth-Genres bekommen ein solides Spiel vom Typ Splinter Cell, das wegen seiner wohl einzigartigen Behandlung des Themas in Erwägung gezogen werden sollte. Der krasse Verzicht auf eine klassische Heldenfigur und das stets vorherrschende, unterschwellige und offene Grauen sorgen für ein bewegendes Erlebnis, das aber nicht unbedingt etwas für schwache Nerven ist.
Ungeduldige Persönlichkeiten und Menschen, die keine „schweren“ Themen in ihren Spielen wünschen, sollten ohnehin einen Bogen um Velvet Assassin schlagen.